Mittwoch, November 15, 2006

Mit dem Zug in die Türkei







Nachdem ich schon mehrere Male mit dem Zug in die Türkei gefahren bin und die Wahl dieses Reisemittels heute oft Verwunderung und Fragen hervorruft hier eine Erklärung für meine außergewöhnliche Art (aber nur 1 x im Jahr!) zu reisen.
Ich arbeite bei den ÖBB (Österreichischen Bundesbahnen) und habe deshalb 1 x im Jahr eine Freifahrt, d. h. ich bezahle nichts für die Fahrkarte, Liege- oder Bettkartenzuschläge ausgenommen. Die sind aber sehr günstig und nochmal billiger wenn man sie nicht bei uns im Vorverkauf erwirbt. Das ist nach meiner Erfahrung aber auch nicht nötig, die Bett- u. Liegewagen sind selbst im Sommer schwach ausgelastet und ein Platz alleine selbst im 6-er Liegewagen ist dir fast sicher.
Interessanterweise wird hier nicht ein Abteil vollgestopft bis das nächste belegt wird sondern man schaut dass die Leute auf den gesamten Waggon verteilt werden und Einzelreisende (oder zusammengehörende Leute) möglichst ein Abteil für sich haben. Ob Kundenfreundlichkeit der alleinige Grund dafür ist oder noch anderes dafür spricht (Zollkontrolle?) weiß ich nicht.
Ich reise sehr gern mit dem Zug. Vielleicht ist meine Beziehung zur Sache doch nicht nur beruflich und ich bin auch ein wenig Eisenbahnfan. Jedenfalls sehe ich entlang einer Bahnlinie meist interessantere Dinge als links und rechts einer Durchzugsstraße. Vorausgesetzt es ist kein Hochgeschwindigkeitszug und die Sicht nicht durch Lärmschutzwände verbaut. Diese beiden Dinge (zu hohe Geschwindigkeit und keine Aussicht) gibt es spätestens südlich von Budapest nicht mehr.
Es kommt natürlich auch etwas darauf an was dich interessiert. Den neuesten Entwicklungsstand eines Landes (welche Automarken, Supermarktketten und internationale Konzerne sich bereits etabliert haben) bekommt man da nicht ganz so mit. Aber wenn dir verträumte Bauerndörfer, Landwirtschaft wo Pferd und Esel noch ihren Platz haben oder im Feld manchmal noch ein Storch steht und unberührte Naturlandschaften gefallen ist eine Bahnreise in die Türkei nicht langweilig.
Leider kann man einen Zug nicht kurz anhalten und die Chance mit einheimischen während der Reise in Kontakt zu kommen ist auch nicht groß, weil die Schlaf- u. Liegewagen (würde ich aber trotzdem empfehlen!) für den "normalen" Reisenden, der nur tagsüber eine Strecke mitfährt nicht zugänglich sind.
Ich finde den Komfort einer Bahnreise (im Vergleich zum Flugzeug, Bus und eigenem PKW) recht groß. So hast du viel mehr Bewegungsfreiheit, du kannst sogar im Zug ein wenig spazieren gehen oder einen etwas eintönigen Streckenabschnitt zum Lesen, zum Ausruhen oder einem Gespräch mit einem Mitreisenden nützen.
Trotzdem, ich empfehle eine Reise in die Türkei mit dem Zug nicht jedem. Eine Zugreise von München oder dem Westen Österreichs (wo ich her bin) nach Istanbul dauert mehr als 40 Stunden über Belgrad und noch ein paar Stunden länger über Rumänien (diese Strecke bin ich bisher gefahren).
Der Preis eines Flugtickets kann mit einem Bahnticket gut konkurrieren, die sanitären Anlagen im Zug zwischen Budapest und Istanbul (ausgenommen den Euronightzug - mit mitteleuropäischen Preisen - zwischen Budapest und Bukarest) sind allerdings außer Konkurrenz, selbst im Schlafwagen. (Ein Einbettabteil habe ich allerdings noch nicht ausprobiert)
Wenn du da irgendwelche Ansprüche stellst vergisst du eine Zugfahrt am besten. Toilettenpapier, Seife, Handtuch u. a. solltest du unbedingt in deinem Gepäck haben. Zeit, westliche Zweckmäßigkeit und Vernunft dürfen dir auch nicht zu wichtig sein, sonst werden die stundenlangen Aufenthalte an den Grenzen wahrscheinlich zu einer Nervenprobe, besonders wenn du daran denkst, dass ein evtl.. "Anschlusszug" in Bukarest oder Istanbul nicht wartet.
Bei meinen ersten 3 Reisen (2000 -2003)gab es immer noch Grenzbeamte (interessanterweise aber nur an der rumänisch/bulgarischen Grenze) die versuchten ihren Gehalt nach sicher alter Tradition aufzubessern. Mindestens eine Aufforderung etwas (meist 10 Euro) zu geben (mit oder ohne Angabe eines "Grundes") hat es jedesmal gegeben. Von mir hat ein korrupter Beamter bisher allerdings noch keinen Cent bekommen und bis auf ein einziges Mal hatte es auch keine Konsequenzen. Dort wurde mir allerdings demonstriert, dass ein Grenzbeamter durch eine sehr gründliche Untersuchung des Reisegepäcks eine legale Möglichkeit hat dich auch ein wenig zu ärgern.
Eine nette Überraschung gab es im Frühjahr 2004. Da erlebte ich erstmals eine völlig korrekte Grenzabfertigung selbst an der bulgarisch/rumänischen Grenze, die Grenzaufenthalte hielten sich buchstäblich „in Grenzen“ und der Zug kam pünktlich in Bukarest an!
Meine erste, sehr ungute "Grenzerfahrung" gab es bei meinem ersten Versuch Ende der 90er Jahre mit dem Zug über Belgrad in die Türkei zu reisen. Damals musste ich an der Grenze Ungarn/Serbien aus dem Zug aussteigen und die Kontrolle meines Reisepasses (oder meine Weigerung den Gehalt der Grenzbeamten etwas aufzubessern) dauerte so lange, dass der nur tägl. verkehrende Zug in die Türkei ohne mich abfuhr.
Damals entschloss ich mich etwas verärgert mit dem nächsten Zug nach Österreich zurückzufahren und zu fliegen. Das ist auch der Grund, warum ich die etwas kürzere Strecke über Belgrad bisher nicht gefahren bin. Aber ich denke, dass ich es wieder einmal versuchen werde! Vielleicht hat sich in dieser Sache (Richtung Korrektheit) die letzten Jahre auch etwas getan. Allerdings braucht man für Serbien als Österreicher ein Durchreisevisum, für Rumänien nicht. Oder hat sich hier in der Zwischenzeit auch schon was getan?
Mit der richtigen Einstellung (den vorhin beschriebenen Dingen wie langen Aufenthalten an den Grenzen, verschmutzten Toiletten, einem korrupten Beamten usw. solltest du eher mit Interesse und Gelassenheit als mit Verärgerung begegnen) kann eine Zugreise durch den Balkan aber interessant und schön sein.
Zumindest für einen Naturliebhaber und Eisenbahnfan.

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