Samstag, November 25, 2006

Constantinopel 18.IV.1926 (ein Brief)


Das sind die ersten 4 Seiten von einem Brief, den mein Vater am 18. April 1926 von Constantinopel (Istanbul) nach Hause geschrieben hat. Die restlichen Seiten sind leider verloren gegangen.

Constantinopel 18. IV.1926

Meine lieben Eltern u. Geschwister!


Nach längerem Stillschweigen muß ich nun euch ein Lebenszeichen von mir geben und meine Lage im kurzem schildern. Am Freitag d. 9. d. Monats sind wir in Wien eingestiegen aber wir konnten uns mit langem herumstreiten einen Sitzplatz ausfindig machen. Die Morgenstunden brachen heran und ich versuchte mich am Boden auszuruhen. Stunde für Stunde wurde man gestört bis endlich wir in Budapest 6 h in der Früh anlangten. Dort hatten wir bis zu Mittag Aufenthalt und wir stärkten uns im Bahnrestaurant. Um die Mittagstunde bestiegen wir den Zug und es ging schon dem Orient entgegen. Ach welch ein Glück war das, denn wir hatten genügend Platz, dass man sich ausruhen konnte. Es ging hinein in die tiefe Ebene des Reiches Ungarns und das Auge strahlt man sah nichts als wunderbares Getreideland, Steppen und Sumpfland. Die Nachtdämmerung brach heran und es ging der Donau entlang dahin. Die Sonne senkt sich nieder und die Donau rötet sich ganz blutrot und mein Auge war ganz überströmt v. Schönheit. Es war wirklich ein Fantasiebild was ein Menschenherz nie sich schöner bemalen könnte. Es wurde Nacht und ich begab mich auf ein Gebäckshalter und schlummerte ein. Um Mitternacht kamen wir nach Belgrad und wir mussten die Reisepässe an der Passstelle abholen. Wir konnten leider das Innere der Stadt nicht besichtigen denn es ist für Durchreisende strengstens verboten die Stadt anzusehen. Aber was ich gesehen habe sind die Straßen sehr schmutzig, das Elend sieht man schon in den Warthesälen also alles unterm Hund ich will es weiter gar nicht schildern. Nach vierstündigem Aufenthalt ging es wieder weiter. Der zweite Morgen brach heran und man sah nichts anders als Steppenland, öde kahle Gebirge und Stroh oder Lehmhütten. Ich unterhielt mich einige Zeit mit einem Türken der mir gegenüber sehr gastfreundlich war und ich holte verschiedene Berichte ein über Türkei, Angora Asia welche er mir nur gutes schildert. Nach längerem fahren kamen wir in die Hauptstadt von Sofia an, nachmittags um ½ 3. Der Durst plagte mich sehr und mit aller Mühe bekam ich ein Trinkwasser. Der Schreiber und Rubin stärkten sich im Restaurant und verspäteten den Zug dabei. So ging es dahin aber ohne Schreiber und Rubin. Die Räder des Zuges rollten schon dahin und es ging nach der Türkischen Grenze. Ich hielt mich am Wagenfenster auf und betrachtete die Natur es kamen aber nichts als ganze Lager v. Strohhütten, Störche, Büffel, Esel und Schildkröten. Wir durchfahrten die letzte Stadt Bulgariens und kamen nach mehrstündiger Zeit in die Türkei hinein. Bei jedem Bahnhof stiegen schon ganze Truppen von Militär ein aber sie waren sehr unzivilisiert.
Es ging nicht lang so sahen wir schon das Meer und gegen 7h abends kamen wir in Constantinopel an. Ein Deudtscher Hotelier wartet schon am Bahnhof und ruft uns schon zu. Wir nahmen das Gepäck zusammen und verlassen den Wagen. Gepäcksträger waren herum wie rote Hunde und wir mussten uns streiten dass man uns die Koffer nicht aus den Händen riss. Wir gingen mit dem Hotelier der uns unsere Zimmer anwies. Wir waren wirklich so müde dass wir uns bald zur Ruhe legten. Aber mein Gott solch ein Hotel also ich glaube mir wär bedeutend lieber eine unbewohnte Almhütte in unserer Heimat als ein Deudtsches Hotel in Constantinopel. Es gibt schon schöne Hotels hier aber solche können wir nicht betreten mit unserem Geld was mir noch haben. In meinem Zimmer schläft Hans und Schurl, ein Bekannter v. Spullersee. Unseres liegt an der Straße – Parterre. Die Fenster sind sehr klein vergittert wie ein Gefängnis. Alles das hat mich noch gar nicht abgeschreckt. Am andern Morgen gingen wir um Arbeit aus und besuchten die Firmen Julius Berger, Redlich u. Berger usw. auf. Sie sagten kurz und bündig wir sollen nach den Feiertagen herschauen und gaben uns eine schlechte Aussicht auf Arbeit. Das ist wirklich zu blöd, dass wir gerade in die Feiertage hineinrutschen müssen. Tag für Tag vergeht und wir betrachteten uns die Stadt, am liebsten war ich auf der Verkehrsbrücken am Hafen der Stadt. Es ist dort wirklich schön und ein Verkehr ist dort also nicht zum beschreiben. Dampfer fahren ab Stunde für Stunde. Die Brücke passieren kostet für einen 1 Piaster. Die machen dort ein rentables Geschäft. Das Innere der Stadt ist wirklich nichts schönes, also Orientmäßig. Mehrere Moscheen hab ich besucht die sind aber sehr schön ausgebaut.
Jetzt werd ich Euch die Arbeitslosigkeit in Constantinopel und in Angora schildern. Tausende v. Deudtschen sind schon Monate hier ohne Arbeit und müssen elend zu Grunde gehen. Denn zum Fechten gibt es nichts mehr nun ist man verlassen weit v. d. Heimat entfernt unter fremden Leuten die Sprache nicht mächtig und arbeitslos. Es bleibt einem nichts mehr übrig als alles dem Schicksal überlassen. Hans, Gebhard u. ich waren heute in der ganzen Stadt und suchten Arbeit, aber nichts zum ausfindig machen. Ich hätte jede Arbeit angenommen aber es ging nichts. Für Hilfsarbeiter bezahlen sie höchstens 2 – 3 Lire also kaum zum Leben. In Angora steht es auch schlecht, die Fahrt v. hier nach Angora kommt auf 9 Lire = S 4. Wir haben aber von den Deutschen uns erkundigt die selbst in Angora arbeiten wie es liegt und steht, aber sie gaben uns zur Antwort wärts ihr gscheider in Österreich geblieben. Es ist wahr dass einige sehr viel Geld verdient haben aber keiner davon hatte das Glück es in Österreich anzulegen. Es kamen auch solche zurück die 3 – 4 Monate gearbeitet haben und die Firma kann ihnen nicht ausbezahlen. Ich hab mich v. h. aus mit dem Kinzel in Verbindung gesetzt und erwarte alle Tage ein Schreiben v. ihm. Wenn ich Geld genügend hätte so würd ich selber hinfahren aber ich kann mich nicht ganz bloß stellen. Meine Kasse zählt noch S 110 und noch ein paar Lire von dem ich noch das Zimmer zahlen muß. Ich hab diese 5 Tage nicht mehr als 2 Lire gebraucht v. dem ich manchmal Retig oder a Brot gekauft habe. A Trumm Speck u. a paar Landjäger hab ich schon noch aber es reicht nimmer weit. Aber dennoch bin ich nicht verzagt, den Mut laß i net sinken!!!

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